„Reflexion“ über Spiegelungen in der Fotografie und meine Schwierigkeit einen Titel für diese Serie zu finden.
Vor mehr als 20 Jahren hatte ich begonnen, Spiegelungen zu fotografieren. Im Wesentlichen in Schaufensterscheiben und Werbeplakaten. Dann sah ich vor etwa 10 Jahren die ersten Fotos der Serie „COEXIST“ von Franziska Stünkel. Ich fand und finde den Titel und die Arbeiten genial, denn wie es im Vorwort zu dem Buch heißt: „Entstanden ist ein vielschichtiger Blick auf die hochaktuelle Frage nach Koexistenz in unserer Gesellschaft“. Ich kam zu dem Schluss, dass damit das Fotografieren von Spiegelungen „verbrannt“ sei. (Was mich jedoch nicht daran hinderte, immer mal wieder in eine „Scheibe“ zu schauen.)
Beim Betrachten von älteren Fotos und einem aktuellen Bild aus der Serie „Von Linden und Weiden“ wurde mir klar, dass „COEXIST“ immer nur den jeweiligen Moment des Fotografierens festhält und der Titel für diese Situation auch sehr gut ist. Aber sind das Foto und sein Inhalt häufig nicht viel komplexer? Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen.
Am 28.9.2004 fotografierte ich ein Werbeplakat der „Helmut Newton Foundation“ in Berlin. Gespiegelt wird die Straßensituation an einer Haltestelle und meine Person im Objektiv der Kamera von June Newton. Ziemlich vermessen von mir und ein „coexist“ zwischen uns gab es nur auf dem Plakat und für den Moment in dem ich den Auslöser drückte, denn Helmut Newton war am 23.1.2004 verstorben. June Newton ist 2021 verstorben. Welche Bedeutung hat so ein Foto dann noch im Jahr 2023?
Beim Fotografieren von alten, teilweise sehr alten Bäumen habe ich mich immer gefragt, was mögen die schon alles „gesehen“ und erlebt haben? Und nun sehe ich 2023 die Spiegelung der „Linde in Schmorsdorf“ mit dem „Lindenmuseum Clara Schumann“ in der Scheibe des Dioramas „Fincken-Fang“ an der Mauer eines Dreiseiten-Hofes in der Nähe der Linde. Der „Fincken-Fang“ veranschaulicht die Niederlage und Kapitulation der Preußen gegen die Österreicher im November 1759 zwischen Maxen und Schmorsdorf. Schmorsdorf (und andere Dörfer) wurde danach geplündert. Ein Ereignis, das die Linde „erlebt“ hat.
Neben der Linde steht das kleine, interessante „Lindenmuseum Clara Schumann“, das ebenfalls in dem Foto zu sehen ist. Clara und Robert Schumann waren von 1836 und 1849 zu Gast bei Friederike und Anton Serre im Schloß Maxen. Clara Schumann schreibt am 25. November 1838: „Heute bin ich hier herausgefahren und auch schon spazieren gegangen an der großen Linde“. Ob die Linde das „gespürt“ hat? Was die Linde sicher „gespürt“ und darauf reagiert hat, ist der schwere Sturm und Brand im Jahr 1884, der einen großen Teil der Krone zerstörte. Was wir heute sehen, ist eine vitale nach wie vor beeindruckende Linde, die etwa 700 Jahre alt sein dürfte.
Würde der Titel „COEXIST“ dies erfassen? Ich werde weiterhin Spiegelungen fotografieren und die Serie „Reflexion“ nennen, da in diesem Wort sowohl die Spiegelung, als auch die Aufforderung zum Nachdenken über das was man sieht, enthalten ist.