Roland Nagel (frei nach Martin Walser)
Im ersten Fall schlendere ich beispielsweise durch Straßen, laufe am Strand oder gehe mit dem Hund spazieren und plötzlich bekomme ich ein „Foto geschenkt“. Es kann das Lächeln einer Frau, eine bizarre Situation, ein besonderes Gebäude, eine bemerkenswerte Pflanze oder irgend etwas sein, das meine Aufmerksamkeit erregt und fotografiert wird. Zumindest gibt es nun ein Foto, ob daraus ein Bild wird, ist eine ganz andere Frage und dies zeigt sich häufig erst nach einigen Jahren.
Im zweiten Fall habe ich eine Bildidee, die ich dann inszeniere oder gezielt danach suche. Dazu gehören auch bestimmte Projekte, die oft einen längeren Zeitraum beanspruchen. Beispielsweise das Projekt mit Handwerkerinnen: Leisten, Silber, Filz und Tuch.
Ach ja, die Technik. Ich werde oft gefragt, ob ich analog oder digital fotografiere. Die Antwort ist beides, wobei analog in meinem Fall die Verwendung von Diafilmen bedeutet, da ich Dias früher in meinen Vorlesungen und Vorträgen sehr häufig eingesetzt habe. Die Zeiten haben sich geändert und mittlerweile wurden die Dias gescannt und liegen somit auch digital vor.
Ob ich meine Fotos bearbeite? Ja, wenn nötig, wird der Kontrast erhöht, unscharf maskiert, die Klarheit verändert oder der Tonwert korrigiert. Im konkreten Fall wandle ich Farbfotos auch mit einem speziellen Programm in SW-Fotos um, wie beispielsweise die Unterwasseraufnahmen in UNENDLICH LEBENDIG. Ich lasse häufig auch zwei Bilder in einer Tafel miteinander in „Dialog“ treten. Dies wurde in UNENDLICH LEBENDIG mit den beiden gegenüberliegenden Seiten realisiert.
Ich arbeite auch mit der „Sandwichtechnik“. Dazu werden wie in MEN´S BLOOD IN MY VEINS zwei Fotos übereinander gelegt und so ein neues Bild geschaffen.
Aber die wichtigere Frage als die nach der Technik, ist nach meinem fotografischen Verständnis, die Frage, ob das präsentierte Bild funktioniert!
Bei Fragen, scheuen Sie sich bitte nicht diese zu stellen. Ich werde sicher antworten; versprochen!
Für „Leisten, Silber, Filz und Tuch“ danke ich den kunstfertigen Handwerkerinnen Oder, Hofmann, Peevski und Künzel. Danke für BRONZE an die Bildhauerin Chodakowska. Danke an die „GENUSS-Künstler“: Pattis, Pisek, Schenk, Schürer und Zimmerling. Last but not least dank den vielen Menschen, die mir ein Bild „geschenkt“ haben und danke für die vielen tollen Momente, die mir die Fotografie geschenkt hat.
VERTRAUTHEIT UND FREMDHEIT DER MEERE
Das Meer war und ist für den Fotografen eine Entdeckung; es wirkt unberührt wie ein Element aus ferner Vorzeit, zugleich ist es für den Menschen ein nur allzu vertrauter Anblick, weltweit. Es bietet den klassischen Bildausschnitt jeder Landschaft – unten der Grund/das Meer, oben der Himmel, geteilt vom Horizont in zwei Flächen mit unterschiedlicher Struktur und Farbigkeit. Diese Hälften können wie ein Spiegel wirken, die Horizontlinie kann deutlich hervortreten oder verschwimmen. In der Ferne die unendlich ausgedehnte leere Fläche, in der Nähe ständige Bewegung der Wellen, das Zerrinnen des Wassers im Sand, als Motiv birgt das Meer in sich bereits die Möglichkeit der Abstraktion des Verschwindens der Gegenstände. Diese monotonen Bilder leben zugleich von der Variation, dem wechselhaften Wetter und der verschiedenen Beleuchtung und sie entfalten gerade darin heute ihre berührende Wirkung. Denn der Betrachter ahnt die eigene Fragilität angesichts dieser lebendigen Unendlichkeit und er weiß zugleich von der Gefährdung der Meere selbst, der lebendigen, zerbrechlichen und unersetzlichen Umwelt. Diese „leeren“ Fotografien stehen in besonders deutlichem Kontrast zu denen des Alltags, dem Badevergnügen, Strandleben, der Schifffahrten und Tauchgänge, die in uns die Illusion einer vertrauten, familiären Beziehung zu dem Meer erzeugen. Denn wohl beinahe jeder teilt diese Erfahrungen der Reisen und Ferien und schwärmt oder fürchtet sich vor dem Strandleben auf seine Weise.
Roland Nagels Meeresfotografien umfassen das gesamte Spektrum, sie entstanden seit 1986 während verschiedener Reisen rund um den Globus. Sein Wissen als Biologe, als Naturwissenschaftler, ist seinen Fotografien implizit und stellt sie in den für unsere kulturelle Identität heute so wichtigen Kontext einer fortschrittskritischen Öffentlichkeit. „Wir werden das Leben auf der Erde nur erhalten können, wenn wir die Bedeutung und die Gefährdung der Meere besser verstehen“, diese Aussage ist das Fazit eines Vortrages von Roland Nagel. Diese Aussage wird mit seinen Fotografien des Meeres jedem Betrachter ans Herz gelegt.
Almut Weinland
Gabriele Seitz, Steffen Lipski und Roland Nagel in der Zentralbibliothek
Die Zentralbibliothek Dresden lädt zu einem poetischen Spaziergang durch das Moor. … Roland Nagel, Mitbegründer des Forums, vermittelte und erstellte die Konzeption der umfangreichen Fotoschau auf zwei Etagen zusätzlich einer beeindruckenden Beamer-Präsentation mit Landschaften von Steffen Lipski und ihm im Treppenhaus. …
Die Moorbilder (Landschaften und Details wie Vögel und Pflanzen) von Roland Nagel wechseln zwischen farbig und schwarz-weiß und setzen in der Ausstellung Akzente. Dabei waltet eine besondere Sensibilität im Detail, aber auch eine subjektive Auffassung von Hell-Dunkel, Lichtstreuung und Körnung im Schwaz-Weiß, die einen sanften Hauch auf seine Bilder legt.
Heinz Weißflog
Immer wieder hat er mich um ein Gespräch gebeten, mailte mich an, rief mich an. Ich kannte diesen Mann nicht, ich kannte nur seine Fotografien. Er hatte mir ein Buch zugesandt. Das Meeresbuch. Mir hat sein Blick sehr gefallen, seine Art zu sehen, hat etwas, etwas, was mich anrührt, Das habe ich ihm am Telefon auch gesagt. Roland Nagel kann sehr beharrlich sein, er ließ nicht locker, er wollte mich unbedingt treffen, mir sein neues Projekt vorstellen. Es war dieses Insistieren, was mich letztendlich überzeugt hat. Überzeugt, nicht breitgeschlagen. Das ist ein Unterschied.
Roland Nagel bat mich um einen Text für sein Fotobuch „Zwei“. Er zeigte mir Bild für Bild, schaute mich fragend an. Was würde ich wohl dazu sagen? Ich bin Journalistin, ich schaue einfach nur, und manchmal sage ich in der Tat etwas dazu. Es muss nicht alles stimmen, was ich öffentlich kundtue, aber es ist meine Sicht - auf die Ausstellung, das Ereignis, auf den Menschen. Ich denke viel nach, bevor ich mich öffentlich äußere.
Ja, diese Bilder rühren mich abermals an. Die Fotografien von Roland Nagel sprechen mit mir. Seien es die „Heiligen“ im Turm oder die asketisch anmutenden Steinfiguren, Paare in Museen oder die große und kleine Insel - gesehen im Landeanflug. So oder so: Roland Nagel erzählt Geschichten. Ein Kind schaut in ein Kamelgesicht, ein anderes entgegnet dem Zuschauer mit einem staunenden Blick, ein anderes küsst den Bauch einer Schwangeren. Eine alte Frau sitzt auf einer Bank und blickt durch ein halb geöffnetes Gittertor auf zwei Männer, Frauen hocken am Bach und palavern, ganz in sich versunken, wie die zwei Wanderer, die Füße an Füße liegen, ein jeder ist für sich allein und doch spüren sie einander, genießen sie diesen einen Augenblick. Genauso wie der kleine Junge, der vor einer riesigen Glasscheibe steht und den Seebären beobachtet. Man sieht nur die Beine des Knaben, nur die Flossen des Meeresbewohners und dennoch ahnt man den großen Augenblick für den Jungen, sein Staunen, sein sich Freuen.
Und dazu soll ich einen Text schreiben. Ich versuche mich zu winden, erkläre Roland Nagel, dass er mit seinen Bildern schon alles gesagt hat. Er lässt nicht locker. Nur, ich kann zu diesen Arbeiten kein Essay schreiben, es widerstrebt mir. Sie haben so etwas Klares und Leichtes zugleich. Das ist es ja, was ich an diesen Bildern so schätze. Eigentlich müsste man einen Brief schreiben, die Stimmung aufnehmen, die Stimmung von dem, was man in den Arbeiten von Roland Nagel sieht. Ein Brief an meine Freunde. Das wäre vielleicht die Lösung. Ich erzähle Freunden sehr gern, von dem, was ich das ganze Jahr über erlebt habe. Auf diese Art und Weise trete ich mit ihnen in einen Dialog.
Vielleicht greife ich so auch das Thema von Roland Nagel wieder auf, vielleicht werde ich so seiner „Zwei“ gerecht. Roland Nagel und ich - wir sind schon zwei. Wenn Sie dieses Buch in der Hand halten, die Bilder sehen, meinen Text lesen, dann treten auch Sie in einen Dialog. Mit uns Beiden. Mit den Bildern von Roland Nagel und mit dem Text von mir.
Das ist ein schöner Gedanke. Darauf lasse ich mich gerne ein. Guten Tag, unbekannte Freundin, unbekannter Freund…
Adina Rieckmann
PS. Und lieber Roland Nagel, vielen Dank, dass Sie mich mit Ihren Fotografien zum Briefeschreiben verleitet haben…
… Die eindrucksvollen Arbeiten, die wir heute vorstellen, sind entstanden auf einer Reise im Juli 2018, nordwärts mit der Fähre der Hurtigruten von Bergen nach Kirkenes und den Lofoten, mitten in das Reich der Trolle. Es ist keine Reisebeschreibung, es sind Licht-Impressionen, die jede Schattierung des Farbkreises umfassen. In einigen Aufnahmen vermutet der Künstler jedoch den Einfluss der Trolle, dieser nordischen Fabelwesen, die einen festen Platz in allen Äußerungen des täglichen Lebens haben. Man sagt, sie seien schon vor den Menschen da gewesen; sie sind in der Dämmerung aktiv, müssen das Sonnenlicht meiden und haben durchaus nicht immer gute Absichten. Roland beschuldigt der Meer-Troll, im die Farbe in einigen Bildern genommen zu haben und bemerkte erst später, dass der Troll ihm einen Gefallen getan hatte; es entstanden berührend schöne Aufnahmen in Schwarz-Weiß. Wie von selbst kam der Gedanke auf, diesen Einflüssen mehr Beachtung zu schenken.
Jeder Galerist weiß, dass Arbeiten auf Papier, Fotografien und Skulpturen gut harmonieren und so gab es keine Einwände, als Roland vorschlug den Bildhauer Frank Schauseil einzuladen. …
Lieselotte Rojas Sanoja
Ausstellung in der Galerie FELIX: Die Fotografien von Roland Nagel und Matthias Creutziger fangen Stimmungen auf der Straße und im Konzertsaal gleichermaßen ein.
Beide Fotokünstler, Roland Nagel und Matthias Creutziger sind in ihrer Arbeit im Umgang mit ihrem Gegenstand ganz authentisch. Die von ihnen ausgestellten Bilder entstammen einer umfangreichen Auswahl von Fotografien, in denen die Stimmungen auf der Straße und im Konzertsaal gleichermaßen intensiv eingefangen wurden.
… entdeckte Roland Nagel auch auf seinen Reisen zwischen 2004 und 2018 die Atmosphäre auf den Straßen und Boulevards Europas, Nordamerikas und Südafrika, wo ihn besonders die Musikanten und ihre umlagernden Zuschauer anzogen und zum Fotografieren verführten. Wie in Collioure an der französischen Mittelmeerküste, als er mit Freunden vor einem Restaurant saß und etwa 50 Meter vor ihnen ein Musiker auftauchte und einige Kinder plötzlich anfingen zu tanzen.
Seine Bilder sind sowohl Ausdruck der Lebensfreude als auch der existenziellen Not in einigen Ländern. Der Zufall spielt in seinen Schnappschüssen vor Ort oft eine besondere Rolle, den er nutzte, um die Situation der in der Öffentlichkeit mit dem Publikum agierenden Musiker festzuhalten. Die Serie zur Musik umfasst eine Auswahl von 50 digitalen Bildern aus einem Konvolut von 150 Fotografien. Es handelt sich zum Schwarz-Weiß konvertierte Farbaufnahmen, bei denen Nagel Schärfe, Kontrast und Helligkeit korrigierte sowie Ausschnitte auswählte. So ist zum Beispiel ein Akkordeon-Spieler zu sehen, vor dem zwei halbwüchsige Mädchen spontan tanzen. In einem von ihm verfassten Haiku beschreibt Nagel die besondere Situation der Straßenmusik treffend:
„immer mittendrin / zwischen lebensfreud und kampf / musik der straße“.
Neben der klaren und im feinsten Hell-Dunkel erfassten Atmosphäre seiner Bilder brilliert jedes einzelne von ihnen durch den Blick für das Situative und den psychologischen Moment. …
Heinz Weißflog
(Trotz der sehr schweren Zeit, die durch Corona überschattet war, bin ich Matthias Creutziger sehr dankbar, dass er meine Idee und Einladung zu einer gemeinsamen Ausstellung angenommen hat. Roland Nagel)
Dieser Titel trägt den Sound einer klassischen Rockballade in sich. In Bezug auf Fotografie entspricht er in übertragenem Sinne einem Roadmovie durch und über die Landschaft des Aktes. Ist es aber tatsächlich ein männlicher Blick auf das Weibliche, das sich mit den Fotografiken von Roland Nagel dem Betrachter offenbart? Der Akt als kunstgeschichtlicher Topos ist immer mit der Symbolik von Verletzbarkeit und dem unvermeidlichen Vergehen alles Lebendigen verbunden.
Roland Nagel widmet sich in einer sinnlichen Apotheose des Lichts der Schönheit von Körperlichkeit. Er ist kein Dokumentarist, sondern nutzt das Medium Fotografie um eigene, kunstvolle Tatsachen zu schaffen und zwar mit Überlagerungen von Strukturen aus der Natur und der Großstadt auf Ausschnitte des weiblichen Körpers. Eine surreal anmutende Farbigkeit umschmeichelt die Formen, die sich zu nahezu abstrakten Landschaften verwandeln, sich immer wieder eindeutiger Wahrnehmung entziehen und somit den Betrachter zum Träumen verleiten. Die Poesie, die aus den Arbeiten zu uns spricht steht in einem wunderbaren Gegensatz zu dem auf Nützlichkeit und Funktionalität ausgerichteten Alltag. Roland Nagel begibt sich, experimentierfreudig, mit der Kamera auf eine Entdeckungsreise. Er spielt mit dem Licht und Farbwirkungen, mit Perspektiven und Ausschnitten, Dopplungen und Überblendungen, mit dem Verfließen des Sichtbaren zu einer eigenständigen ästhetischen Realität aus der eine ins Imaginäre wachsende Verbindung realster Motive erwächst. Verweise zu den Klassikern der Fotografie wie Hugo Erfurth und Edmund Kesting wären möglich, sind aber völlig unerheblich für die Rezeption der Arbeiten. Roland Nagel ist viel gereist, hat viel gesehen, wahrgenommen und fotografiert und auf diesen Fundus greift er nun zurück, um Geschichten vom Leben, Lieben, Begehren, vom Altern, von der Freude zu sein, von dem Aufeinander-bezogensein von Mensch und Natur, von dem Geheimnis des Weiblichen verwandelt zu erzählen. Mit Sicherheit glaubt er an das Unsichtbare, das sich als Wirklichkeit in der Intuition und Phantasie manifestiert, dem er mit seinen Fotografiken nachstellt. Das Flüchtige eines seltenen Augenblicks der Erfahrung von Schönheit und von erotischer Verlockung in einem distanzierenden Farbrausch ist präsent, aber vielmehr als geistige Vorstellung wie ein Traumgebilde. Roland Nagel führt uns das Weibliche als Universum vor, nahezu entindividualisiert, als suggestive Kraft des Lebens in symbolischen Bildern, deren Ästhetik mitunter überwältigt. Er beherrscht das sinnlich Erzählerische ebenso wie die strenge Bildkomposition und schafft in seiner ihm eigenen Dramaturgie die Verknüpfung beider Elemente mit romantischer Akzentuierung.
Karin Weber